Von Anonym, herzlichen Dank!

Manche von euch wissen, dass ich seit Jahren auf einer Intensivstation in Zürich arbeite.
Ich möchte euch mitteilen, dass die Situation in den Spitälern, sicher auf allen Abteilungen, aber vor allem auf den Intensivstationen, katastrophal ist.

In den Zeitungen liest man aktuell wieder von freien IPS Betten. Ich weiss nicht woher die Redaktionen diese Zahlen haben, sie stimmen NICHT. Wir haben kantonal einen Mangel an IPS Plätzen. Die Betten stehen mitunter physisch zur Verfügung, als sogenannte „zertifizierte“ Plätze, können aber wegen Personalmangel seit Monaten (Sommer) nicht belegt werden und werden auch nicht als belegbar weitergeleitet, aber in den Zeitungsstatistiken immer wieder als frei aufgeführt.

Seit Monaten geben alle Intensivstationen 2x am Tag ihre Zahlen und Kapazitäten in ein kantonales Gefäss ein, absolut transparent, damit die Belastung möglichst gleichmässig verteilt wird. Wir weisen seit Monaten täglich 1-3 eigentliche IPS Patienten schon auf unserem Notfall ab, für die dann mühsam ein Platz gefunden werden muss, manchmal weit weg. Das ist für Patienten in instabilem Zustand (z.B. frisch reanimiert) und bei denen es um jede Minute geht (z.B. nach Schlaganfall) richtig schlecht.

Der Markt an ExpertInnen Intensivpflege ist ausgetrocknet, die Personaldecke war sowieso schon vor Corona dünn. Seit Monaten kommt durch langanhaltende Ausfälle (1/3 meines Teams fehlt für Monate, coronaunabhängig) das Restteam täglich an seine Grenzen.
Nun kommen winter- und coronabedingt weitere Ausfälle dazu. Gleichzeitig ist der Patientenmix nicht mehr so wie ursprünglich. Auf meiner wie auf anderen Stationen sind nun fast nur noch sehr schwer kranke, komplexe und aufwändige Patienten mit einer langen Aufenthaltsdauer.

Wir schaffen die Arbeit nicht!

Es muss ganz klar gesagt werden, dass momentan niemand, der Spitalbehandlung braucht, davon ausgehen kann, die benötigte Behandlung zu bekommen!
Wir können auf der Intensivstation seit Wochen gewisse Massnahmen, die einen signifikanten Einfluss auf die Mortalität haben, nicht oder nur um viele Stunden verzögert durchführen. Für viele Massnahmen, die für das Outcome von Patienten (Pflegebedürftigkeit, Organerhalt/lebenslange Dialyse, Infektionen, kognitive Funktionen, Muskelerhalt) entscheidend sind, für das Üben von Sprechen und Schlucken oder einfach nur mal fürs An-den-Bettrand-setzen (das ist auf der IPS oft aufwändig), haben wir tagelang keine Zeit. Notfalls werden Patienten einfach sediert.

Wir sind seit Wochen gezwungen, unsere Arbeit schlecht auszuführen. Das ist ein schlimmes Gefühl! Aber es geht nicht anders, wir sind am Hetzen, arbeiten zumindest bei den Covid-Patienten Stunden ohne zu trinken, essen bestenfalls schnell im Stehen (wobei uns grundsätzlich die eigentlich vorgeschriebene 1/2 Stunde Mittagspause von der Arbeitszeit abgezogen wird…) und sind einfach nur erschöpft.

Ich kann in Arbeitsphasen nachts nicht mehr schlafen, weil ich nicht abschalten kann. Andere, gestandene Männer aus meinem Team, fallen um 20:00 ins Bett. Eine Kollegin hat bei der Arbeit vor Erschöpfung einen Weinkrampf bekommen. Eine zur Aushilfe neu angestellte Kollegin war nach ihrem ersten Arbeitstag bei uns letzte Woche so kaputt, dass sie nun auch schon wieder krank ist… Mehrere haben gekündigt oder gehen in Frührente, auch ich schaue mich nach einer anderen Tätigkeit um.

In der ersten Welle waren die Teamsolidarität und die Bereitschaft, gemeinsam die Situation zu tragen, noch gross. Wir waren jahrelang ein fröhliches, gutgelauntes Team, vertraut miteinander, eine beliebte Station. Aber wir konnten uns seit der ersten Welle nie erholen, und mittlerweile überwiegen Ärger, Unzufriedenheit, Erschöpfung, die Nerven liegen blank.

Ich bitte euch, wo auch immer ihr die Möglichkeit dazu habt, teilt diese Infos mit!

Das Spitalpersonal ist überlastet, es gibt kaum freie Betten, es handelt sich nicht um eine harmlose Grippe, die Covid Patienten sind im Moment noch zu zahlreich, sie benötigen und binden so lange so viele Ressourcen, es werden Patienten zur Zeit nicht adäquat behandelt.

Ich möchte mich aber auch bei euch allen […] bedanken. Viele von euch sind mir in früheren Jahren und in schwierigeren Zeiten beigestanden, […] ein gutes neues Jahr euch allen!