Tatsachenbericht aus der Pflege, von Anonym

Wieder eine Geschichte aus der gängigen Praxis in der Schweiz. Es zeigt auf, was Personalmangel über diese Praxis hinaus für die Pflegenden bedeutet. Sie zeigt auf, dass der emotionale Stress für die Pflegenden nicht nur bei der Arbeit stattfindet und entsteht.

Die Autorenschaft will ebenfalls anonym bleiben – kein Problem und herzlichen Dank für Dein Beitrag!

Am Morgen erscheint eine meiner Mitarbeiterinnen pünktlich im Frühdienst. Aber noch vor dem Morgenrapport bekommt sie einen Heulkrampf und erzählt, dass in der Nacht ihr Vater gestorben sei. Sie hätte eigentlich arbeiten wollen, aber natürlich schickte ich sie nachhause.

Wir können den Dienst auch ohne sie machen – statt fünf nur vier Pflegende im Frühdienst – ungünstig aber im Notfall machbar.

Ich habe ihr drei ‘Todesfalltage’ plus einige Freitage frei gegeben, damit sie sich organisieren, wieder fassen und sich einigermassen erholen kann.

Am nächsten Morgen ruft sie mich an und entschuldigt!!!!!! sich bei mir, weil sie gestern nicht arbeiten konnte!!!! Was ist das für ein Arbeiten, wenn Du ein schlechtes Gewissen bekommst, weil Du nicht arbeiten kannst, weil Dein Vater gestorben ist!!!!??? Echt jetzt????

Dasselbe am nächsten Tag, mit einer anderen Kollegin, die wegen einer Stirnhöhlenentzündung beim Arzt war. Der Arzt hätte ihr ein Zeugnis ausgestellt! Sie wollte aber nicht zuhause bleiben, wegen der Station, wegen dem Team!

Sie war ca. zwei Stunden auf der Station, klagte dann aber über Schwindel. Blutdruck 155/105. Ich schicke sie wieder zum Arzt – sage, sie solle zuhause bleiben. Noch im selben Dienst ruft sie mich an und entschuldigt!!!! sich, dass sie heute nicht mehr zur Arbeit kommt!!!

Sorry Alain. Das darf doch nicht sein, dass wir in der Pflege ein schlechtes Gewissen bekommen, weil wir uns nicht gut fühlen oder weil DER VATER GESTORBEN ist!

Das macht mich so dermassen wütend, dass in der Pflege ein unzureichendes Ausfallsystem vorhanden ist, dass sich die Leute schämen krank zu sein, oder wegen persönlichen Gründen nicht arbeiten zu können, nur weil der Personalschlüssel grundsätzlich schon knapp ist.

Ich könnte kotzen…

Gepflegte Grüsse

Anonyme*r Pflegende*r