Von Irina Hellmann, vom 23.05.20

Sehr geehrte Damen und Herren des National- und Ständerates

Mein Name ist Irina Hellmann. Ich arbeite als Expertin Intensivpflege auf einer Intensivstation der Region. Seit bald 13 Jahren brennt mein Herz für die Pflege. Nach der obligatorischen Schulzeit habe ich die Lehre zur Fachfrau Gesundheit absolviert. Da ich weiterhin wissbegierig war (und es noch immer bin), folgte die Ausbildung zur dipl. Pflegefachfrau. Den krönenden Abschluss zeigte sich im Nachdiplomstudium zur Expertin Intensivpflege. Hier angekommen sehe ich es mehr denn je als meine Berufung, den schwerkranken Menschen an der Seite zu stehen, sie zu pflegen und mit meinem Wissen zu unterstützen.

Wir geniessen eine fundierte und vor allem vielseitige Ausbildung. Am Ende jeder einzelnen beruflichen Entwicklungsstufe sind wir reicher an Kompetenzen sowie Wissen. Sieben Jahre und drei Ausbildungen später kann ich Beatmungsmaschinen bedienen, Reanimationen durchführen, kritische Situationen erkennen und bewältigen sowie rasche Entscheidungen fällen. Es ist (über)lebenswichtig, dass ich genau weiss, wie und wo ich welche Medikamente korrekt zu verabreichen habe. Neben all diesen medizinaltechnischen Tätigkeiten beinhaltet mein Job auch die seelische Begleitung, Zuhören, Mitkämpfen, Trösten sowie Bewältigen von schweren Situationen. Ein Zertifikatslehrgang in Palliativ Care hat mir zudem viel Wissen und Verständnis für die Betreuung am Lebensende eingebracht. Genau diese Vielseitigkeit des Berufs erfüllt mein Herz mit absoluter Freude sowie tiefster Überzeugung, das Richtige zu tun.

Corona wirft alles über den Haufen

Und dann kommt Corona. Der Virus wirft alles über den Haufen. Von heute auf morgen erhalten wir die Aufgabe, unsere Kapazitäten um ein x-faches zu erweitern. Wir schieben Überstunden, um uns auf den Worst-case vorzubereiten. Beatmungsgeräte, Medikamente, spezielle Wechseldruckmatratzen sowie viele weitere tausende Materialien werden angeschafft. Mit der x-fachen Erweiterung der Kapazitäten multipliziert sich auch unser täglicher Mangel an Pflegefachpersonen. Dennoch werden Lösungen gefunden. Plötzlich platzt unsere ansonsten kleine, familiäre Intensivstation aus allen Nähten. Und wissen Sie was? Wir werden gesehen, gehört und unterstützt. Ein tosender Applaus ertönt über viele Städte und treibt mir die Tränen in die Augen. Ehrfürchtig stehe ich da und bin wirklich sprachlos. Unsere Pausenräume sind stets gefüllt mit Süssem, vielen lieben Worten in Form von Karten, Poster, Bilder. Uns werden Banner gewidmet und wir sind in aller Munde. Sich an diese Dankbarkeit und Anerkennung zu gewöhnen fällt mir schwer.

Berufsstand leidet

Seit bald 13 Jahren nehme ich (leider in einer passiven Rolle) wahr, wie unser Berufsstand leidet. Wir ringen um gute Fachpersonen, bessere Löhne, arbeitnehmerfreundliche Bedingungen, Anerkennung (auch gesetzlich gesehen) und um weitere Verbesserungspotentiale. Nun erobert ein zerstörerischer Virus unsere Situation. Mit voller Wucht trifft er tausende Menschen, aber auch uns. Wofür wir seit Jahren kämpfen, verschafft sich von einem Tag auf den anderen Gehör. Ich bin kein Ökonom, kein Finanzchef oder CEO eines Spitals. Ich sehe nicht, was in den oberen Rängen der Politik geschieht oder entschieden wird. Aber ich erlebe fast täglich, wie die Einsparungen an der Basis Einfluss haben auf meinen Alltag. Wie gerne würde ich mehr Zeit in Gespräche mit Patienten und deren Angehörigen investieren. Oder Zeit für vermeintliche Nebenarbeiten (wie z.B. Haare waschen eines intubierten Patienten, was mit entsprechendem Aufwand verbunden ist) haben.

Wie oft sehne ich mich nach einer Pause, in welcher ich wirklich zur Ruhe kommen kann und nicht ständig abgelenkt werde von Alarmen, Klingeln oder Telefonaten. Wie häufig bleibt nur wenig Zeit für eine angemessene Begleitung unserer Studierenden und demnach auch unserer Zukunft. Sie sind es, in die wir investieren sollten, so wie es viele Berufsbildner auch für mich getan haben. All das und noch viel mehr lässt mich nachdenklich werden. Ohne zu jammern frage ich mich dennoch, ob ich all diese Strapazen, Einsparungen, Kürzungen und das regelmässige „am Limit laufen“ in Kauf nehmen möchte. Weshalb wird in den Medien oder in Form einer Pflegeinitiative und weiteren Stimmen aus unseren Rängen auf all dies aufmerksam gemacht, ohne dass sich wirklich etwas ändert? Wie viel wert hat ein gut funktionierendes Gesundheitswesen? Ja, wir sind eines der reichsten Länder und haben gerade im medizinischen Bereich Unmengen an Möglichkeiten, Behandlungen, Gerätschaften etc. Doch was nützen all diese wertvollen Güter, wenn eines der Wichtigsten so vernachlässigt wird? Wir können im Nu 10 Beatmungsgeräte organisieren. Doch was bringen 10 Beatmungsgeräte, wenn das Fachpersonal zur Bedienung fehlt? Von aussen tönt es simpel und einfach zu bedienen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass die Bedienung sowie das Verständnis für diese komplexen Geräte fundiertes Wissen, genügend Zeit und Kapazitäten braucht, um eingesetzt werden zu können.

Um ein kleines Beispiel mit weitreichenden Konsequenzen zu nennen: lassen wir zu, dass ein von Corona betroffener Patient 900 ml Luft pro Atemzug via Tubus verabreicht bekommt, nimmt seine Lunge Schaden an, welcher ein positives Outcome verzögert, bis unmöglich macht. Habe ich nun 8-10 beatmete Patienten zu betreuen und werde ich von Pflegefachpersonen ohne Nachdiplomstudium unterstützt, kann ich nicht gewährleisten, dass ich den Überblick über das Atemzugvolumen eines jeden Patienten habe. Ich kann meinen Aufgaben nicht nachkommen und die Pflegefachpersonen übernehmen Aufgaben, die ihren Kompetenzbereich überschreiten. Mit diesem kleinen Beispiel möchte ich auf die Forderung der Pflegeinitiative hinweisen (Art. 117c): „Sie stellen sicher, dass eine genügende Anzahl diplomierte Pflegefachpersonen für den zunehmenden Bedarf zur Verfügung steht und dass die in der Pflege tätigen Personen entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen eingesetzt werden“. 

Bitte an National- und Ständeräte

Ich könnte Ihnen noch viele Zeilen mit Missständen, Zeitmangel, fehlender Anerkennung und Ratlosigkeit ob der Situation schreiben. Trotzdem schliesse ich mit folgender Bitte: 

Sie, liebe National- und Ständeräte haben es aus der Wahlempfehlung des SBK’s (Schweizerischer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner) in wichtige politische Positionen geschafft. Sie haben die Möglichkeit und nötige Lautstärke, für sowie mit uns zu kämpfen. Wir schätzen die Anerkennung aus der Gesellschaft sehr. Es reicht jedoch nicht mehr aus, auf dem Applaus auszuruhen. Der Corona Virus ist unsere Chance, nachhaltig und bodenständig etwas zu verändern. Ich wünsche mir Pflegefachpersonen, die sich mit Freude, Überzeugung und mit ebenso viel Herzblut für eine professionelle sowie ganzheitliche Pflege einsetzen. Die Zeit der selbstlosen Krankenschwestern ist vorbei. Vor Ihnen stehen Pflegefachpersonen mit enorm viel Wissen und Können. Wenn Sie jetzt in einen wichtigen, gesellschafts- und systemrelevanten Beruf investieren, wird der drohende, bzw. an vielen Orten bereits vorhandene Pflegenotstand aufgehalten. Es würde mich sehr traurig, nachdenklich und wehmütig stimmen, wenn ich meinen Beruf in ein paar Jahren aufgeben muss, weil wir uns nicht vom Fleck bewegen. Ich denke, dass ich da nicht nur für mich, sondern für viele ambitionierte Pflegefachpersonen spreche. Dennoch werde ich nicht aufgeben, indem ich meine passive Rolle in eine Aktive umwandle.

Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit nehmen, meine Zeilen zu lesen und die Pflegeinitiative des SBK politisch zu vertreten.

Freundliche Grüsse und bleiben Sie gesund,

Irina Hellmann